Burggraben oder Kreuzfeuer?
„Worauf wartest du noch? Trenn dich. Jetzt sofort! Und dann sieh zu, dass du die Schlösser auswechselst und ihm möglichst nicht mehr über den Weg läufst.“
Diesen Ratschlag würden wir bestimmt alle so oder so ähnlich einer Freundin geben, die in ihrer Beziehung Gewalt erfährt.
Denn auch ohne die erschreckenden Zahlen genau im Kopf zu haben, wissen wir, dass eine Frau niemals in größerer Gefahr ist, Opfer einer Gewalttat zu werden, als in der Zeit nach der Trennung.
Und es ist uns auch bekannt, das das „Spielchen“ bald wieder von Neuem beginnen würde, wenn die Freundin zurückgehen würde, weil sie den Entschuldigungen ihres Partners Glauben schenken und darauf vertrauen würde, dass er sich jetzt wirklich geändert hat.
In Fachkreisen spricht man vom Gewaltkreislauf:
Eigentlich wäre also eine Trennung auf Nimmerwiedersehen die einzig wirklich effektive Methode, um aus dem Gewaltkreislauf zu entkommen.
Gefangen im Gewaltkreislauf
Mit Kindern ist das aber aus mehreren Gründen nicht möglich. Einer der Gründe ist der, dass Kinder wegen des Elternrechts auf Umgang Kontakt mit ihrem Vater haben müssen, ob sie das nun wollen oder nicht und auch unabhängig davon, wie sich der Vater der Mutter gegenüber gebärdet.
Über diesen Umgang sind Mütter also immer wieder zum Kontakt mit dem Ex-Partner gezwungen und dadurch zwangsläufig im Gewaltkreislauf gefangen. Denn bei der Abholung der Kinder ergeben sich wunderbare Gelegenheiten, sich selbst zu beweisen, dass man noch Kontrolle über die abtrünnige Frau hat.
Anfangs, wenn Thomas Katja abholte, überrumpelte er mich immer an der Haustür mit irgendwelchen spontanen Änderungen von getroffenen Absprachen. Sie waren Ausdruck seines Anspruches, als Vater jederzeit alle Entscheidungsfreiheiten innezuhaben haben. Damit diese willkürlichen Neuerungen nicht automatisch Gesetz wurden, hielt ich zunächst mit Argumenten dagegen. Ehe ich bis drei zählen konnte, war er deswegen auf 180 und drohte mir, mich nun endgültig fertig zu machen. Auch wenn ich gar nicht genau wusste, an was er dabei konkret dachte, hatte ich Angst.
Immerhin hatte er eine glaubhafte Morddrohung schon ausgesprochen, sodass die nächste Stufe womöglich brenzlig geworden wäre. Daher war ich an einer Deeskalation sehr interessiert und folgte dem Rat der Caritas-Beratungsstelle, auf diese Überrumpelungsmethode nicht mehr einzugehen, sondern alle Absprachen ausschließlich per Mail oder SMS zu regeln. Damit hatte ich mehr Zeit und Abstand gewonnen.
Wer nun denkt, dass sich dadurch die Situation nachhaltig entspannen konnte, und wir irgendwann sogar so etwas Ähnliches wie eine friedliche Ebene erreicht hätten, ist leider auf dem Holzweg.
Mitten im Kreuzfeuer – für Kinder das reinste Gift
Dadurch, dass ich auf seine Angriffe und Beleidigungen zwischen Tür und Angel nicht mehr reagierte, und durch sehr sachliche, ja fast schon sterile Mails auch schriftlich nicht auf einen Schlagabtausch einging, lief er quasi ins Leere und fühlte sich nicht mehr als Herr der Lage. Das machte ihn wütend und diese Wut staute sich dann wie ein Gewitter an einem schwülen Sommertag auf, um sich beim nächsten Mal zu entladen, wenn ich Katja vor die Tür begleitete. Da wurde geschimpft, gedroht und gestänkert bis die Luft brannte.
Nach diesen Übergaben war ich zwar immer froh, dass ich stoisch bei meinem Entschluss geblieben war, nicht zu reagieren, aber mit den Nerven war ich trotzdem völlig runter. In der Regel half mir nur ein Wohnungsputz oder ein Waldlauf, um meinen Blutdruck wieder in den Griff zu bekommen.
In erster Linie waren diese Situationen aber für Katja das reinste Gift. Entweder sie lief verängstigt wieder ins Haus oder schlich mit eingezogenem Kopf hinter ihm zum Auto und winkte mir mit einem ängstlich-traurigen Blick zu, wenn er mit quietschenden Reifen davonfuhr.
Das setzte mir enorm zu und die Forschungsergebnisse klingelten mir in den Ohren, dass nicht die Trennung der Eltern an sich für Kinder schwer zu bewältigen sei, sondern dass es die lang anhaltenden Konflikte sind, die schwere Entwicklungsstörungen verursachen.
Aushebung eines Burggrabens
Das konnte ich ihr einfach nicht mehr länger zumuten. Deshalb entschied ich mich, noch stärker an der Schraube zu mehr Distanz zu drehen, nämlich ihm gar nicht mehr persönlich gegenüberzutreten.
Katja war inzwischen acht Jahre alt und konnte die drei Meter zwischen Wohnungstür und Haustür durchaus alleine bewältigen. Wenn er läutete wünschte ich ihr schon an der Wohnungstür viel Spaß und schloss diese, noch ehe Katja die Haustür ganz aufgezogen hatte.
Für mich war das eine wahnsinnige Erleichterung. Keine Bosheiten mehr und keine Bemerkungen unter der Gürtellinie oder gar Drohungen, von denen ich mich stundenlang erholen musste. Nein, ab der ersten Minute konnte ich die kinderfreie Zeit nutzen. Was für ein Fortschritt!
Sehnsucht nach Harmonie
Zunächst dachte ich, dass es auch für Katja leichter sein müsste, schließlich hatte ich sie mit dieser Maßnahme aus dem Kreuzfeuer gezogen. Aber da war wohl mehr der Wunsch der Vater dieses Gedanken.
„Mama, kannst du dem Papa nicht wenigstens Hallo sagen?“, fragte mich Katja nach einiger Zeit. Die Erinnerungen an die aggressiven Auftritte an der Haustür waren offensichtlich verblasst, sodass die Sehnsucht nach etwas mehr Normalität, ja vielleicht sogar noch einem Hauch von Harmonie durchbrechen konnte. „Weißt du, für mich ist das echt schlimm, dass ihr euch gar nicht mehr versteht.“
Diese Bitte und dieses Geständnis stürzten mich in tiefe Zweifel. Tat ich Katja mit meinem rigorosen Kontaktabbruch zu Thomas nicht genauso weh wie er mit seinen Ausbrüchen?
Kinder wollen ja immer, dass sich die Eltern liebhaben. Das ist ein Grundbedürfnis, welches ihnen die Sicherheit gibt, dass die Welt in Ordnung ist.
Eine Trennung der Eltern bringt definitiv Unordnung ihn ihre heile Welt, aber wenn sich die Eltern wenigstens noch die Hand schütteln und ein paar Höflichkeitsfloskeln austauschen können, fühlt sich alles schon wieder viel sicherer an.
Wenn nun aber wie bei uns, auf der einen Seite die Mama ist, die den Papa gar nicht mehr sehen möchte und auf der anderen Seite der Papa, der sich immer wahnsinnig über die Mama ärgert, dann müssen sich diese drei Meter zwischen Mama und Papa wie die Überwindung eines Burggrabens voller Ungeheuer anfühlen.
„Er würde dir doch nichts tun, wenn ihr euch nur die Hand gebt, oder?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Nein, das würde er ganz sicher nicht tun“, hörte ich mich sie unvermittelt beruhigen. „Weißt du was, ich denke darüber nach und dann besprechen wir das in Ruhe. Ok?“, vertröstete ich sie, weil ich ihr nichts versprechen wollte, was ich dann nicht halten können würde.
Die Gretchenfrage
Somit stand ich absolut ratlos vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder ich reiche ihm wieder im buchstäblichen Sinne die Hand und begebe mich damit zurück in den Gewaltkreislauf, oder ich bleibe draußen und mute Katja weiterhin diesen Burggraben zu.
Meine persönliche Gretchenfrage lautete also:
Was ist das geringere Übel für Katja? Burggraben oder Kreuzfeuer?
Ich muss offen gestehen, dass ich das auch heute noch nicht weiß und immer wieder damit hadere.
Meistens bin ich der Meinung, dass der Burggraben besser für sie ist. Denn seit dessen Aushebung bleibt ihr die aggressive Seite ihres Vaters fast vollkommen erspart. Das hat entscheidend dazu beigetragen, dass sie mittlerweile eine viel positivere Beziehung zu ihm aufbauen konnte. Ihr gegenüber verhält er sich nämlich liebevoll. Zum Berserker wird er nur, wenn er sich von mir gegängelt fühlt, was Katja aber wegen der Kontaktsperre nicht mehr 1:1 mitbekommt.
Seine Wut zeigt sich nur noch im Wortlaut seiner Nachrichten an mich. Auslöser dafür sind in der Regel Lappalien. Wenn Katja beispielsweise an seinem Wochenende auf eine Geburtstagsparty eingeladen ist und somit nur 30 anstatt 33 Stunden bei ihm verweilt, dann findet er, es sei sein gutes Recht, diese drei Stunden nachzuholen. Allein die Tatsache, dass er solche Änderungen überhaupt mit mir besprechen muss und nicht einfach per Dekret einen Termin festlegen kann, empfindet er als unangemessene Einschränkung seiner väterlichen Rechte. Wenn ich diese Nachholzeiten dann nicht widerspruchslos durchwinke, ist sein Maß an Toleranz überschritten. Dann schreibt er mir bitterböse Mails. Meist hat er sich sogar so wenig im Griff, dass er auch an Katja noch eine SMS schreibt, in der er sich darüber beschwert, wie manipulativ ich sei und wie sehr es satt habe, dass ich ihr den Papa nicht gönnen und deshalb ständig die wichtigen Papa-Zeiten kappen würde.
Die Quadratur des Kreises
Nach meinem Geschmack ist das für ein Kind schon des Konfliktes zu viel, und allein die Vorstellung, das alles würde wieder live und deshalb viel heftiger vor meiner Haustür ablaufen, treibt mir das Grauen in die Glieder.
Das sind die Momente, in denen ich mich entschließe entgegen Katjas Bitten den Burggraben beizubehalten.
Mit jemandem, für den ein guter Kompromiss eine 100%ige Durchsetzung seiner Vorstellungen ist und der allein 5% Nachlass als Demütigung empfindet, kann man keine konstruktive Diskussion bei abweichenden Standpunkten führen. Entweder man ordnet sich bedingungslos unter, oder die Situation droht zu eskalieren.
Mit solchen Menschen eine Einigung zu finden käme der Quadratur des Kreises gleich.
Aber genau das wird von Müttern durch das aktuelle Umgangsrecht, und in potenzierter Form durch das erzwungene gemeinsame Sorgerecht, verlangt.
Was das alles in den Kinderseelen anrichtet, kann nur jemand erahnen, der in der Lage ist, Empathie zu empfinden.
Carola Fuchs
Was alles passieren musste, bis ich mich entschloss, den Burggraben auszuheben, ist in “Mama zwischen Sorge und Recht” nachzulesen.