Burn after writing!
„Donnerwetter!“, schrieb mir kürzlich ein Arzt, nachdem er Mama zwischen Sorge und Recht gelesen hatte. „Haben Sie sich wirklich immer so fair und emotional kompetent verhalten? Das kommt mir fast zu gut und perfekt vor.“
Da musste ich innerlich lachen. Man kann mir vieles nachsagen, aber perfekt zu sein, gehört mit Sicherheit nicht dazu, weder privat, noch beruflich.
Als ich einmal zu Beginn meines Lehrerdaseins ziemlich zerknirscht ins Direktorat schlich, um von einem missglückten Elterngespräch zu berichten, meinte die Direktorin gelassen: „Fehler, meine liebe Frau Fuchs, machen wir alle, man muss nur daraus lernen!“
Für sie war die Sache damit erledigt und für mich war diese kurze Unterredung in dem altmodischen Amtszimmer ein prägender Schlüsselmoment, der mir so manche Wiederholungstat ersparte.
Der Balken im eigenen Auge
Das klingt nun etwas simpel: Auf die Nase gefallen, kurz überlegt und ratzfatz, ist alles klar und ich bin – zumindest in dieser Sache – unfehlbar.
Ganz so leicht ist das natürlich nicht. Selbstreflexion ist sogar eine ziemlich mühsame Geschichte, weil der Balken im eigenen Auge den klaren Blick oft verwehrt und wichtige Erkenntnisse verhindert.
Daher ist es oft notwendig, Menschen mit einer gewissen Professionalität und Objektivität ins Boot zu holen. In meinem Fall war das zum Beispiel Herr Sedlacek, der väterliche Psychologe bei der Caritas-Beratungsstelle.
Besonders als die Streitereien mit Thomas um alles, was mit Katja zu tun hatte, eskalierten, war nämlich guter Rat teuer, denn die Übergaben arteten regelmäßig zu einem Fiasko aus. Er überrumpelte mich gleich an der Haustür mit irgendwelchen Forderung, wann er Katja zusätzlich haben wollte, was künftig alles ganz anders laufen wird und dass er überhaupt nicht mehr dran denken würde, sich von mir weiterhin drangsalieren zu lassen. Ich führte dann Argumente gegen seine überfallartigen Forderungen ins Feld, worüber er sich schrecklich aufregte. Im Nu brannte die Luft, die Aggression war auch für Katja deutlich spürbar und trug nicht gerade dazu bei, dass sie freiwillig in das Auto ihres Vaters stieg. Das wiederum ließ ihn die Nerven vollkommen verlieren, sodass er mir schließlich drohte, mich demnächst endgültig fertigzumachen – was immer das genau bedeuten würde. Jedes Mal das gleiche Spiel und ich hatte keine Ahnung, dass der entscheidende Fehler bei mir lag.
Schreiben statt sprechen
Herr Sedlacek musste jedoch nicht lange nach meinen Anteil bei dieser destruktiven Dynamik suchen. „Sie brauchen mehr Distanz, Frau Fuchs. Solange Sie auf diese Überrumpelungstaktik reinfallen, hat er Sie gleich wieder am Wickel. Gehen Sie lieber künftig jeglicher persönlichen Kommunikation aus dem Weg. Regeln Sie alle Absprachen ausschließlich per E-Mail oder SMS.“
„Aber das hab ich doch schon versucht!“, erwiderte ich ratlos, „er hält sich einfach nicht dran und kommt ständig mit ganz neuen Feststellungen daher. Wenn ich dem nichts entgegensetze, dann ist es für ihn beschlossene Sache und er macht was er will.“
„Bestimmt wird er anfangs weiterhin versuchen, Sie bei den Übergaben aus der Reserve zu locken, aber Sie wiederholen einfach stoisch, dass alles schriftlich geklärt wird. Glauben Sie mir, das funktioniert!“, sagte er mit solch einer Zuversicht, dass ich nicht mehr zu widersprechen wagte.
Mit diesem Rat verhalf mir Herr Sedlacek, einen Fehler, den ich anfangs nicht mal als solchen erkannt habe, für alle Zeiten zu vermeiden.
Burn after writing!
Dabei war es mit Thomas auch per Schriftverkehr nicht leicht, eine Eskalation zu vermeiden. Denn seine E-Mails waren und sind alles andere als neutral formuliert. „So, Carola, jetzt mal Tacheles“, beginnt er gerne. „Mich kotzen deine Spielchen an. Wie du sicherlich bemerkt hast, zeigte ich bisher immer großes Entgegenkommen bezüglich der Wochenendabsprachen. Aber jetzt hab ich keinen Bock mehr immer und zu allem Ja und Amen zu sagen … .“
Mein erster Impuls ist dann der, im gleichen Stil zurückzuschreiben. Und wenn ich gerade Zeit habe, mache ich das auch. Manchmal fällt die Antwort ebenso vorwurfsvoll bis herablassend aus wie die eingegangene Nachricht und manchmal führe ich ihm lieber subtil vor Augen, was für ein armes Würstchen er doch ist. Aber, und das ist das Entscheidende, ich schicke diese Antwort niemals ab. Never! Ich lösche sie gleich oder speichere sie höchstens unter Entwürfe, und dann schlafe mindestens eine Nacht darüber. Am nächsten Tag sieht die Welt nämlich schon wieder ganz anders aus.
Öl ins Feuer
Von dem Bedürfnis, ihm seine Lebenslüge auch noch aufs Butterbrot zu schmieren, ist nichts mehr übrig geblieben. Das ist auch gut so, denn damit würde ich nur Öl ins Feuer gießen und das hat sich bekanntlich noch nie so richtig bewährt. Nein, der Ärger ist verraucht, sodass der Blick auf das große Ganze wieder frei ist.
Die Devise lautet, den Konflikt so klein wie möglich zu halten, und das geht nur über die Stabilisierung seines Selbstbewusstseins. Denn dort liegt ja die Wurzel allen Übels, dass er sich in Wirklichkeit ganz klein fühlt. Nur wenn er sich aufplustert und sich selbst glauben macht, er würde über mir stehen und den Ton angeben können, hat er Boden unter den Füßen. Eine liebe Freundin hat das kürzlich sehr treffend als die „Tyrannei des Schwachen“ bezeichnet.
So fällt die Antwort, die ich dann verfasse ganz neutral aus. Ich reagiere mit keinem Wort auf seinem Beleidigungen oder Angriffe, sondern versuche nur eine Regelung zu erreichen, die Katjas Bedürfnissen am ehesten entspricht und mit der wir beide leben können.
Fast zu perfekt
Dann schlafe ich sicherheitshalber noch einmal darüber und kontrolliere den Wortlaut erneut. Das Ganze liest sich jetzt nicht nur sachlich, sondern fast schon steril, was für einen Außenstehenden dann zu perfekt, zu kontrolliert oder zu aalglatt erscheinen mag.
Aber in unserer Situation war das der einzige Weg, um die Eskalation einzubremsen und damit Schlimmstes zu verhindern.
Contenance!
Ein weiterer und besonders wichtiger Grund für meine anscheinend fast schon übermenschliche Kontrolle von Emotionen und Reaktionen, waren Frau Hofmann-Haas vom Jugendamt und Dr. Möllrath, unser Familienrichter.
Für mich hatte es den Anschein, als würden beide die Ursache für Katjas Weigerung, bei ihrem Vater zu übernachten, ausschließlich bei mir suchen und geradezu darauf warten, dass ich dafür handfeste Beweise liefern würde. Deswegen war ich mir sicher, dass sie mir aus jedem, noch kleinen Verlust meiner Contenance sofort einen Strick drehen würden.
Zahlreiche Schicksale anderer Frauen zeigen mir, dass diese Befürchtung absolut berechtigt war. Unbedachte und nicht vorher zigmal auf die Goldwaage gelegte Äußerungen, wurden diesen Müttern als mangelnde Bindungstoleranz gegenüber dem Vater ausgelegt und ihnen daraufhin das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder sogar das Sorgerecht entzogen.
Die Burn-after-writing-Methode
Mein erster Impuls auf Angriffe, Gemeinheiten und Drohungen ist also auch nicht fairer oder emotional kompetenter als der der meisten anderen Menschen. Aber mit der Burn-after-writing-Methode habe ich eine äußerst wirksame Möglichkeit gefunden, diesen ersten Drang, etwas mit gleicher Münze heimzuzahlen, im bloßen Schreiben zu kanalisieren. Denn das alleine hilft beim Verdauen der Bosheiten, sodass der Ärger meist über Nacht verraucht und eine sachliche Antwort möglich ist.
Carola Fuchs
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